„Ich lernte Kindernöte e. V. 1999 kennen. Damals schrieb ich im Rahmen einer berufsbegleitenden Weiterbildung meine Abschlussarbeit, ein Fundraising-Konzept, über den Verein. Das war der Anfang einer "wunderbaren Freundschaft". Danach haben mich der Verein und die Arbeit, die dort geleistet wird, nicht mehr los gelassen. Ich war knapp zwei Jahre dort angestellt, schlug dann einen anderen Berufsweg ein, blieb aber dem Verein ehrenamtlich verbunden. Viele Jahre durfte ich (ehrenamtlich) Vorsitzende von Kindernöte e.V. sein, und seit Januar 2021 bin ich angestellte (hauptamtlich) Geschäftsführerin des Vereins.
Ich bin u. a. für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, dafür, Spenderinnen und Spender für Kindernöte e.V. und insgesamt für Chorweiler zu interessieren. Fürs Fundraising, das "professionelle Kötten", für Mittelakquise bei öffentlichen und privaten Fördergebern, für Information und oft genug auch fürs Augen-Öffnen, weil die Vorurteile über Chorweiler immer noch so betoniert sind wie die Hochhäuser hier.“
Kindernöte e. V. ist Begünstigter der diesjährigen SOS-Veranstaltung in der Kölner Philharmonie „Glow Up Your Power!“ am 11. September 2024. Im Interview stellen wir Ihnen den Verein und seine Geschäftsführerin Ingrid Hack näher vor.
Hier gibt es einen knapp dreiminütigen Film über die Projekte.
Interview mit Ingrid Hack
Hans sucht das Glück e. V.
Sind Aktionen mit Kindern in einem „verrufenen“ Stadtteil wie Chorweiler nicht besonders schwer?
Ingrid Hack
Überhaupt nicht. Wir erleben es so, dass manche Bewerber und Bewerberinnen, die in Form eines Praktikums „hineinschnuppern“ möchten, genau da hin wollen. Wir erleben auch Menschen, für die Chorweiler, aus welchen Gründen auch immer, auf gar keinen Fall in Frage käme. Wir freuen uns natürlich sehr über diejenigen, die auf jeden Fall in Chorweiler arbeiten wollen, weil es nah an den Menschen ist: „Da können wir richtig was bewegen, die Leute, die Herzen und die Kinder sowieso“, meinen diese.
Hans sucht das Glück e. V.
Die Kinder sowieso, ja. Gibt es ein besonderes Ereignis, dass Sie zu Ihrem Engagement veranlasst hat, oder war es das Gesamtpaket?
Ingrid Hack
Es war schon der gesamte Plan. Damals war noch Vieles in einem Entwicklungsstadium. Der Verein war vier Jahre alt, als ich ihn kennenlernte. Es gab deutlich weniger Projekte als heute, das erste ursprüngliche war das „Straßenkinderprojekt“. Das ist unser ältestes und das hat mich schon sehr fasziniert. Die Idee ist im Grunde so einfach wie genial, denn die Angebote finden auf den Plätzen statt, an denen sich die Kinder sowieso aufhalten, ein Spielplatz, eine Straßenecke, ein Platz im Wohnblock. Je zwei Erwachsene arbeiten als Gruppenbegleitungen und schaffen es, diese Gruppen über Jahre attraktiv für Kinder zu gestalten. Alle nehmen jede Menge mit, haben Freude, spielen, finden Freunde und Freundinnen und bleiben über Jahre in dieser Gruppe. Das hätten sich die damaligen Gründer und Gründerinnen vermutlich nicht träumen lassen, dass das jetzt nach 28 Jahren immer noch läuft. Das sind aktuell pro Woche immer noch ca. 160 Kinder in derzeit acht Gruppen. Wenn es immer heißt: „Wir müssen die Kinder von der Straße holen!“, sagen wir: „Wir müssen auf der Straße ein Angebot machen, eine Beziehung aufbauen! Dann ist auch die Straße ein guter Ort!“
Hans sucht das Glück e. V.
Das ergab sich ganz natürlich.
Ingrid Hack
So ist unsere Erfahrung.
Hans sucht das Glück e. V.
Ist noch bekannt, wie und warum das begonnen hat?
Ingrid Hack
Das ist noch sehr bekannt. Im Grunde ist Kindernöte als „Förderkreis der Städtischen Familienberatung Köln-Chorweiler“ gegründet worden. Das war 1996 und nach der Überlieferung standen Kürzungen im Kinder- und Jugendhaushalt an. Ein Verein, der die Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe und als gemeinnützig hat, kann andere Instrumente nutzen als eine städtische Dienststelle. Die Kinder- und Jugendarbeit auf andere und auf mehrere Füße zu stellen, das war die Absicht der Gründerinnen und Gründer.
Hans sucht das Glück e. V.
Als Verein ist Kindernöte vermutlich stabiler, als wenn er in der Abhängigkeit des mehr oder weniger gefüllten Stadtsäckels wäre.
Ingrid Hack
Man hat zumindest mehr Möglichkeiten. Als Verein kann man Spenden aktivieren, das kann, soweit ich weiß, eine städtische Dienststelle nicht. Bei der Gründung wirkten neben den Mitarbeitenden der Familienberatungsstelle die Inhaber zahlreicher Geschäfte mit, Vertreter von Kirchengemeinden, die Familienrechtsanwältin Barbara Steinhoff, die heute unsere Vorsitzende ist, der damalige und später pensionierte Kinderarzt Detlev Geiß, der am 9. Juli 2024 leider unerwartet verstarb, was uns sehr traurig macht. Er war bei unzähligen Anlässen bis zuletzt ein so wichtiger Botschafter für Kindernöte e. V. und für Chorweiler! Die Gründerinnen und Gründer waren Personen, die hier in Chorweiler sehr nah am Alltag von Familien dran waren bzw. sind.
Man muss übrigens zwischen Chorweiler als Stadtteil und Chorweiler als Stadtbezirk unterscheiden. Die weichen da mitunter sehr stark ab, was Bevölkerung, Einkommenssituation, Infrastruktur etc. angeht. Viele, die von Chorweiler (schlecht) sprechen, meinen die fünf, sechs Straßenzüge mit der allseits bekannten Skyline. Zum Stadtbezirk Chorweiler gehören u. a. noch Fühlingen, Merkenich, die Rheindörfer und Worringen.
Hans sucht das Glück e. V.
Die Arbeit von Kindernöte e. V. geht also über den Stadtteil hinaus und ist auf den Bezirk mit den umliegenden Stadtteilen ausgedehnt?
Ingrid Hack
Ja, wir sind im gesamten Stadtbezirk Chorweiler tätig.
Hans sucht das Glück e. V.
Wie werden die Mitarbeitenden ausgesucht?
Ingrid Hack
Natürlich ist die Fachlichkeit ausschlaggebend, daneben ist es eine wichtige Voraussetzung, dass sich jemand für Chorweiler interessiert. Stimmt die Chemie? Wichtig ist uns, dass studentische Honorarkräfte sich mindestens für ein Jahr verpflichten, sodass eine stabile Beziehung zu den Kindern ermöglicht wird. Im Laufe der Zeit konnte Kindernöte e.V. immer wieder aus dem Kreis der studentischen Kräfte und dem der Praktikant*innen nach ihrem Abschluss Festangestellte für unser kleines Team gewinnen.
Hans sucht das Glück e. V.
Gibt es Erfahrungen mit ehemaligen Gruppen-Kindern, die mittlerweile erwachsen sind?
Ingrid Hack
Die gibt es. Darüber freuen wir uns sehr. Die Begegnungen mit den jungen Erwachsenen, die jetzt so Anfang 30 sind, sind sehr erfreulich. Die haben teils eigene Kinder und fragen, wann sie sie für eine Gruppe anmelden können. Wir freuen uns natürlich wie Bolle darüber. Für uns ist es ein Erfolg, dass sie sich an die Kindernöte-Zeit super positiv erinnern. Sie sagen: „Das war so toll. Die Jahre bei euch in der Gruppe werde ich nie vergessen“. Es ist natürlich auch ein Erfolg, wenn das Menschen sind, die gerne eine eigene Familie haben, die selber in Chorweiler oder in der Nähe wohnen, die sich gerne an uns erinnern und die dann, ich sage mal in Anführungszeichen, „ordentlich durchs Leben gehen“.
Hans sucht das Glück e. V.
Die leben dann offensichtlich nicht mehr an der Armutsgrenze. Stärken solche Erfahrungen die Kinder auch, dass sie dann weniger anfällig für Alkohol, Drogen, Kriminalität etc. sind.
Ingrid Hack
Das lässt sich statistisch nicht belegen, aber vermuten.
Das Selbstwirksamkeitsgefühl von Kindern stärken
Hans sucht das Glück e. V.
In den 1970er und 1980er Jahren hatte Chorweiler, gemeint die „Trabantenstadt“ mit den Hochhaussiedlungen, in denen man Geringverdiener und Ausländer unterbrachte, einen sehr schlechten Ruf, weil es zu einem sozialen Brennpunkt wurde. Nach Ihren Schilderungen lässt sich diese Beurteilung längst nicht mehr aufrecht erhalten.
Ingrid Hack
Manche Menschen sagen über Chorweiler-Mitte, also die Hochhaussiedlung: „Das ist die Intensivstation. Da wohnst du, wenn es dir schlecht geht, aber sobald es dir besser geht, versuchst du da wegzukommen“. Das stimmt manchmal, aber auch nicht immer. Es gibt auch eine Menge Menschen, die sagen: „Hier ist mein Zuhause“. Darum geht es uns natürlich auch, das respektvoll zu betrachten. Hier wohnen und leben Menschen, die so gut, wie andere Eltern auch, ihre Kinder großziehen. Den Begriff „sozialer Brennpunkt“, na ja, an manchen Stellen brennt es hier schon, aber den mögen wir nicht so. Wir wissen, dass es Menschen gibt, die wir auch begleiten dürfen, Kinder wie Erwachsene, wo die Familie einkommensschwach ist, das ist so aus vielerlei Gründen, aber was uns immer vorrangig interessiert: Welche Ressourcen haben diese Menschen? Vor allem die Kinder. Das müssen wir nur entdecken. Jedes Kind hat Talente. Mit unseren Möglichkeiten versuchen wir, das durch respektvollen Umgang zur Geltung zu bringen und vor allem das Selbstwirksamkeitsgefühl der Kinder zu stärken. Die sind genauso wichtig und genauso viel wert, wie alle anderen Kinder, die in Köln herumlaufen.
Hans sucht das Glück e. V.
Nur oft bekommen die das nicht so gespiegelt.
Ingrid Hack
Das ist ein Großteil unseres Jobs, genau das zu tun.
Hans sucht das Glück e. V.
Was macht Kindernöte e. V. konkret, damit die Kinder eine solche Selbstwirksamkeit erfahren können?
Ingrid Hack
Wir haben in fast allen Projekten diese einzelnen Gruppen, die gemeinsam aufgestellte Regeln haben. Die Gruppenleitungen stellen zusammen mit den Kindern die Regeln auf, wie es in der Gruppe vor sich gehen soll. Das sind einfache Dinge wie Pünktlichkeit oder dass man sich abmeldet, wenn man nicht kommen kann. Wenn ich diese Regeln mitbestimme, dann halte ich sie eher ein, und ich kann dann auch eher von anderen in der Gruppe erwarten, dass auch sie die einhalten.
Hans sucht das Glück e. V.
Wenn mehrere Kinder da sind, „erziehen“ die sich auch ein Stück weit gegenseitig.
Ingrid Hack
So kann man es auch nennen, richtig. Es geht um ein Zusammengehörigkeitsgefühl, und es ist wichtig, das auch immer wieder neu zu beleben, weil das dann auch ein sicherer Ort ist. Die Kinder vertrauen den Gruppenleitungen, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Kinder machen Vorschläge, was in der Gruppe jetzt gespielt werden soll. Dann wird abgestimmt und die Mehrheit entscheidet, das wird da auch gelernt.
Hans sucht das Glück e. V.
Das ist eine der Grundlagen der Demokratie. Das gemeinsame Aufstellen von Regeln ist ein wichtiger Lernprozess.
Ingrid Hack
Ja, wir haben einen festen Ablauf, nach dem sich alle richten können. Innerhalb dieses festen Ablaufs wird dann auch geguckt, was wir heute machen, und am Schluss räumen wir dann auf. Das sind Strukturen, die auch Sicherheit geben, und die Kinder werden ernst genommen. Es fällt auf, wenn eines von ihnen nicht da ist.
Hans sucht das Glück e. V.
Es wird also nach denen, die normalerweise da sind, gefragt, wenn sie nicht erscheinen?
Ingrid Hack
Natürlich. Ja klar.
Hans sucht das Glück e. V.
In anderen Zusammenhängen ist das für die Kinder nicht immer so natürlich.
Ingrid Hack
Ach so. Ja. Wir haben die Regel, dass man sich abmelden muss, wenn man nicht anwesend sein kann. Das spielt auch eine Rolle in Bezug auf unsere Aufsichtspflicht. Wir müssen unsere Verpflichtungen natürlich auch einhalten. Es ist auch wichtig, weil es eine gewisse Verbindlichkeit schafft und die Kinder erleben, dass sie gesehen werden.
Hans sucht das Glück e. V.
Das beruht aber auf Gegenseitigkeit, die Gruppenleiter*innen bekommen den gleichen Respekt wie die Kinder?
Ingrid Hack
Absolut.
Hans sucht das Glück e. V.
Das sagen Sie so dahin. Das ist nicht überall selbstverständlich.
Ingrid Hack:
Ach so. Ja, ich verstehe.
Hans sucht das Glück e. V.
Es ist sehr schön, dass das bei Ihnen so selbstverständlich ist. Viele Kölner*innen haben sich in den 1970er Jahren daran gestört, dass man einkommensschwache Menschen und nicht ganz so erwünschte Ausländer an den Stadtrand in riesige Hochhäuser „verbannt“ hat. Die waren in den Anfängen noch ohne richtige Verkehrsanbindung, und man hat diese Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen zusammengewürfelt waren (und sind), sich mehr oder weniger selbst überlassen. Das konnte nicht gut gehen, wurde offiziell aber als moderne Stadtplanung mit bezahlbaren Mieten angepriesen. Zum Beispiel gab es in den frühen Jahren nicht einen einzigen Kinderarzt in Chorweiler-Mitte und das müsste für andere Bereiche genauso gegolten haben.
Ingrid Hack
Wenn man keine soziale Infrastruktur hat in diesen Wohnsiedlungen, dann geht das überhaupt nicht. Heute gibt es Arztpraxen, Sportangebote, Einkaufsmöglichkeiten, Anlaufstellen für Sozialberatung usw. Das geht auch nicht ohne. Das kann in einem so dicht besiedelten Stadtteil nicht sein. Der Bedarf ist aus unserer Sicht aber immer noch höher als das Angebot.
Hans sucht das Glück e. V.
In den 1990er Jahren sah das schon ganz anders aus. Nach Insolvenzen und horrenden Zuständen kümmert sich die GAG (Gemeinnützige Aktiengesellschaft für Wohnungsbau) nun um die Sanierung der Hochhäuser. Wie weit sind die da schon fortgeschritten?
Ingrid Hack
Oh, das dauert noch. Das ist natürlich eine Mammutaufgabe, es geht da um wirklich mehrere große Objekte, aber wir sehen, dass hier wirklich sukzessive dauerhaft saniert wird. Es sind auch schon erste Bauten fertig, andere sind in der Mache, andere werden noch angefangen. Da sind wir sehr zuversichtlich.
Hans sucht das Glück e. V.
Da kann man die GAG und mit ihr die Stadt Köln als Hauptanteilseignerin durchaus lobend erwähnen?
Ingrid Hack
Vor allem sollte man die loben, die das sehr beharrlich und gegen teils große Widerstände auf den Weg gebracht haben z. B. die Mieterinitiative, einzelne Politiker und GAG-Vertreter. Das war ein zehn Jahre währender Prozess und viele waren auch dagegen. Zusätzlich gab es hier große Wohnumfeld-Maßnahmen. Der Pariser Platz und der Liverpooler Platz sind sinnvoll umgestaltet worden. Das war ein integriertes Handlungskonzept, das aus Bundes- und Landesmitteln finanziert wurde, sodass die Aufenthaltsqualität auf diesen Plätzen super gewachsen ist. Wenn man jetzt über diese Plätze geht, die früher wirklich der Inbegriff von „O Gott, o Gott, wie schrecklich ist das hier“ waren, da sind jetzt Menschen, die das als Aufenthaltsort nutzen, als Ort zum Zusammenkommen. Die Krönung war jetzt noch ein Springbrunnen, der ein schöner Wasserspielplatz ist, wenn er funktioniert. Das war eine riesige Aufwertung und sehr sinnvoll investiertes Geld. Es gibt einen Bolzkäfig, wie Plätze für Ballspiele genannt werden, Spielgeräte für alle Altersgruppen. Das finde ich klasse, dass im öffentlichen Raum kostenlos diese Möglichkeiten geboten werden, wo man einfach hingehen kann und nichts bezahlen muss. Du kannst dich dort treffen, bewegen, Sport machen. Das ist Gold wert und zeigt, wie erfolgreich eine solche Maßnahme sein kann.
Hans sucht das Glück e. V.
Das ist gerade in Stadtteilen mit einkommensschwachen Bürger*innen besonders wichtig, weil die sonst keine Alternativen hätten.
Ingrid Hack
Bei Menschen, die wenig im Portemonnaie haben, ist es noch viel wichtiger, dass der öffentliche Raum gut ausgestattet ist. Ich wünsche mir das natürlich für die ganze Stadt. Je besser diese Infrastruktur einer Stadt ausgebaut ist, desto besser geht es den Leuten, die sich kostenpflichtige Angebote nicht leisten können.
Hans sucht das Glück e. V.
Wie sähe Chorweiler-Mitte aus, wenn der Kindernöte e. V. nicht gegründet worden wäre?
Ingrid Hack
Dann gäbe es seit 28 Jahren kein verlässliches Angebot, es gäbe eine große Anlaufstelle weniger für Menschen, die Rat suchen, und es gäbe eine starke Stimme für Kinder weniger. Wir haben mittlerweile einen so guten Namen, dass wir von unterschiedlichen Stellen zu Rate gezogen werden, sei es vom Jugendamt, sei es von den Multiplikatoren hier, die diese Kenntnisse weitertragen. Diese gute Zusammenarbeit gäbe es nicht. Man weiß auch, dass wir teilweise unkonventionelle Lösungen finden. Wir arbeiten schnell. Da haben wir auch Vertrauen von der Stadt Köln, die uns z. B. das KinderWillkommen Projekt für den Stadtbezirk Chorweiler anvertraut hat, wodurch wir in guten Kontakt zu Eltern mit Babys kommen, die dann in weiterführende Projekte integriert werden können. Es gäbe nicht die vielen jungen Leute, die inzwischen in den Beruf gegangen sind, und sagen: „Was ich bei euch gelernt habe, habe ich nirgendwo anders gelernt, auch im Studium nicht“. Die Grundlagen, die wir legen, können durchaus auch berufsvorbereitend sein.
Probleme „auf die Kette kriegen“
Hans sucht das Glück e. V.
Das Projekt Spaßschule klingt auch sehr spannend.
Ingrid Hack
Das ist ein Gruppenangebot, das vor ungefähr 15 Jahren gegründet wurde, und vor allem dazu dienen soll, dass Lernen wieder Spaß macht und Kindern Erfolge ermöglicht. Auch hier haben sie zwei Erwachsene als Leitung, Begleitung und Vertrauenspersonen. Sie haben feste Abläufe und werden, das ist ganz wichtig, individuell gesehen. Es gibt Kinder, die mit Bauchweh in die Schule gehen, weil nichts richtig klappt. Sie gehen da unter. Das soll jetzt keine Kritik am Lehrpersonal sein, aber die Schulklassen sind groß und einige Kinder können sich nicht gut durchsetzen und trauen sich nicht, etwas zu fragen, wenn sie nicht mitkommen. Bei den Schulen, in denen es Hausaufgaben gibt, können sie diese oft nicht erledigen.Mama und Papa können mitunter nicht helfen, größere Geschwister auch nicht, also kommen die Kinder am nächsten Tag in die Schule und haben keine Hausaufgaben.
Hans sucht das Glück e. V.
Und dieser Kreislauf mit den Defiziten setzt sich immer weiter fort, wenn er nicht unterbrochen wird.
Ingrid Hack
Ja, und in dem Kontext haben wir die Spaßschule gegründet und eine passende Förderung immer weiterentwickelt. Wir haben verhältnismäßig mehr Personal als die Schule. Das ist natürlich ziemlich luxuriös. Da gibt es zwei Gruppenleitungen, wie das bei jedem unserer Projekte ist, und dann maximal 15 Kinder. Da gibt es eine feste Zeit, wo die Kinder Fragen stellen und sich dabei sicher fühlen können. Dann erleben sie, wie toll es ist, etwas zu lernen und etwas zu können. Daraus erwächst eine größere Selbstsicherheit und sie gehen im besten Fall wieder gerne in die Schule. So seltsam sich das anhört, aber das ist ja wichtig.
Hans sucht das Glück e. V.
Beispielsweise bei einem Kind, das nicht gut rechnen kann, was macht man da?
Ingrid Hack
In der Klasse schaltet das Kind dann womöglich ab, aber in der Spaßschule ist es ja freiwillig, weil die Eltern, die Lehrer oder auch die Schulsozialarbeiter*innen gesagt haben, dass das ein gutes Angebot für das Kind sein könnte.
Hans sucht das Glück e. V.
Wie wird dem Kind nun das Rechnen schmackhaft gemacht?
Ingrid Hack
Wir haben einfach mehr Zeit als die Lehrer, und die Kinder müssen keine Angst haben, ausgelacht zu werden. Vielleicht entwickeln auch die beiden Gruppenleitungen oder einer von ihnen ein System, anhand dessen das Kind das viel besser versteht. Vielleicht in Verbindung mit einem Spiel. Das geht gar nicht gegen Schule, es ist etwas für Kinder. Wir können einfach andere Ressourcen mobilisieren. Da hat sich auch viel geändert, wir arbeiten mit Grundschulen zusammen, die inzwischen Familiengrundschulzentrum geworden sind. Da ist u. a.das Personal aufgestockt worden, worüber wir uns sehr freuen, weil das zugunsten der Kinder eine gute Weiterentwicklung ist.
Hans sucht das Glück e. V.
Das ist alles ziemlich beeindruckend. Bei vielen hat sich der Eindruck so festgesetzt, dass Chorweiler die Hölle ist, aber das lässt sich nicht mehr aufrecht erhalten. Das ist einfach bewundernswert, dass eine Vielzahl von Menschen unterschiedlicher Berufe und Herkunft da selber so wirksame Maßnahmen geschaffen haben für Kinder, die allgemein als chancenlos gegolten hätten. Wenn der Wille da ist, kann man die Dinge zum Besseren lenken, und im Fall vom Kindernöte e. V. sogar beispielhaft.
Ingrid Hack
Darum geht es ja. Natürlich erleben wir auch „Fälle“, die äußerst schwierig sind, bei denen wir uns sehr bemühen, Lösungen zu entwickeln. Das sind nicht nur materielle Dinge, aber auch. Wenn wir das gemeinsam mit den Eltern erarbeiten, bekommen wir Vertrauen zu denen und die zu uns. Dann ist so etwas auch möglich.
Hans sucht das Glück e. V.
Auch Familien, die Schwierigkeiten haben, sich in der Gesellschaft oder im Leben zurechtzufinden, werden als Ansprechpartner ernst genommen?
Ingrid Hack
Auf jeden Fall.
Hans sucht das Glück e. V.
Das Projekt mit der Familienhebamme setzt da schon früh an.
Ingrid Hack
Das Projekt haben wir der Bundesgesetzgebung zu verdanken. Das Bundeskinderschutzgesetz begründete das Netzwerk „Frühe Hilfen“, in dessen Rahmen wir u. a. Mittel für eine Familienhebamme erhalten. Nach dem dafür entwickelten Schlüssel ist für Chorweiler eine halbe Stelle genehmigt. Die Familienhebamme ist eine Hebamme mit einer Zusatzausbildung und begleitet eine Schwangere, bis das Kind ein Jahr alt ist. Dazu müssen das Kind und die Familie besondere Bedingungen erfüllen, die festgelegt sind. Der Kindernöte-Vorstand hat erfreulicherweise beschlossen, aus eigener Kraft die zweite halbe Stelle zu finanzieren, damit die Kollegin einen Super-Job machen kann. Dafür z. B. benötigen wir Spenden und Stiftungsmittel. Die Familienhebamme spielt in vielen Fällen auch noch eine Rolle, wenn das eine Jahr herum ist, und Eltern und Kinder in weitere Projekte überführt werden. Sie können dann bei einer Eltern-Kind-Gruppe oder bei anderen Aktivitäten mitmachen, was ihnen auch sehr gut tut. Wir sind auch dabei, weiter an unserem Netzwerk knüpfen, um die Eltern untereinander zu verbinden. Die Familienhebamme macht auch ein wöchentliches Elterncafé, einmal im Monat gibt es Frühstück mit den Familien, wo die sehr gerne hinkommen. Dadurch wird eine gute Nachbarschaft gefördert.
Hans sucht das Glück e. V.
Da kommen ja auch sehr unterschiedliche Menschen zusammen mit verschiedener Herkunft und Religion.
Ingrid Hack
In Chorweiler geht das auch gar nicht anders aufgrund der Zusammensetzung der Bewohner*innen. Diese Erfahrungen sind für die Kinder auch wichtig fürs Großwerden und Aufwachsen. Die spielen zusammen, die streiten sich und die vertragen sich auch wieder. Das gehört dazu. Die Kinder lernen, dass eine Situation nicht ausweglos sein muss, es gibt immer die Möglichkeit, einen Rat zu bekommen, für die Kinder gibt es immer ein offenes Ohr, in der Kindernöte-Gruppe gibt es immer jemandem, dem sie was sagen können, sie sind nicht allein, da ist jemand, der ihnen etwas erklärt. Die Kindernöte, das ist unser Leitsatz, kann man nicht aus der Welt schaffen. Die Kindernöte sind aber nicht vorrangig das Materielle, was Viele damit assoziieren. Das, was Kinder an Sorgen haben, egal wo sie sind, ist die Frage: Haben meine Eltern sich lieb? Haben sie mich lieb? Bin ich cool? Habe ich Freunde? Solche Sachen gehören auch zu den Kindernöten.
Hans sucht das Glück e. V.
Hier können sie lernen, ihre Sorgen und auch ihre Wut in Worte zu fassen. Dann brauchen sie das nicht in sich hineinzufressen oder auf unschöne Art nach außen zu tragen.
Ingrid Hack
Wir bringen laut Leitsatz den Kindern bei, mit Problemen umzugehen. Wir geben uns viel Mühe, das gemeinsam „auf die Kette zu kriegen“.
Hans sucht das Glück e. V.
Könnte man das nicht auch mal dem einen oder anderen Erwachsenen beibringen?
Ingrid Hack
Das versuchen wir tatsächlich in den Gruppen, in denen Erwachsene unsere Ansprechpartner sind, so in den Gruppen, in denen wir mit Kindern von null bis drei arbeiten. Im Kleine-Schritte-Netzwerk sind die Eltern unsere Hauptansprechpartner. Auch da sorgen wir dafür, dass sie sich wohl und sicher fühlen, und so kommt es dazu, dass für sie die Gruppe zu einem Ankerpunkt wird.
Hans sucht das Glück e. V.
Es gibt keine Verlierer.
Ingrid Hack
Genau.
Hans sucht das Glück e. V.
Die Sache mit dem Respekt erstreckt sich nach allen Seiten.
Ingrid Hack:
Vieles ist ja im Argen und Vieles ist am Limit. Aber das habe ich auch Hans Mörtter gesagt, es geht uns darum, die Ressourcen zu sehen. Ich bin es so leid, dass man mit diesem Katastrophenblick auf Chorweiler schaut. Ich will die Dinge nicht verschweigen, die hier super angegangen worden sind. Wie es vorhin schon anklang, wenn man Probleme anpackt, kann man sie auch lösen. Das tun wir in dem Umfang und in den Kategorien, wie wir es können und in dem Umfang, wie wir es geleistet bekommen. Ich finde, das ist nicht wenig, ich finde, es könnte immer noch mehr sein, was wir hier für die Menschen, insbesondere für die Kinder, zur Verfügung stellen.
Hans sucht das Glück e. V.
Wenn man jetzt die 28 Jahre seit dem Bestehen rechnet, blickt der Verein schon auf fast zwei Generationen zurück. Wenn diese Kinder gut auf den Weg gebracht wurden, dass sich die Misere der Eltern bei ihnen nicht wiederholt, wie bei etlichen Generationen von Sozialhilfeempfängern in derselben Familie, weil die Kinder nicht eine solche Förderung erfahren haben. Was übrigens schön ist: Sie sagen immer „Einkommensschwache“. Es hat sich aber der Begriff „sozial schwach“ eingebürgert und der ist oft ziemlich weit von der Realität entfernt. Denn es gibt unter Einkommensschwachen oft mehr Solidarität und Ehre als anderswo.
Ingrid Hack
Das könnten meine Worte sein. Und was diese hier für eine Integrationsarbeit leisten (müssen), weil sie sich mit allem Möglichen konfrontiert sehen, das muss man in seinem Leben erst einmal alles unterkriegen.
Hans sucht das Glück e. V.
Vielen Dank für die Vorstellung dieses beispielhaften Vereins, der ganz im Zeichen von Glow Up Your Power! die eigenen Kräfte mobilisiert und dadurch erhebliche Verbesserungen einleiten konnte. Und es ist schön, dass unsere Pänz da im Mittelpunkt stehen. Weiterhin viel Erfolg und alles Gute für Sie und den Verein.
Das Gespräch führte Helga Fitzner am 1. Juli 2024 . Der Text wurde von Ingrid Hack überarbeitet und ergänzt.
Interview mit Hans Mörtter
Seenotrettung ist unverzichtbar - Teil 1
„Ganz oben hat die Kostbarkeit des Lebens zu stehen“ - Teil 2
"Ein Bekenntnis zum Leben auf hohem künstlerischen Niveau“ - Teil 3
Ein Abend für und mit Kapitänin Pia Klemp - Save Our Souls 2019
Rückenwind für Pia Klemp und alle Seenotretter und -retterinnen - Save Our Souls 2019
Seenotrettung ist eine humanitäre Verpflichtung - Save Our Soul 2020
Benefizveranstaltung in der Kölner Philharmonie - Save our Souls 2022
Benefizveranstaltung in der Kölner Philharmonie - Save Our Souls 2024 - Glow Up Your Power