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„Kraftlose Hinnahme ist stumme Zustimmung zu Vorurteilen, Benachteiligung und Diskriminierung“ - Pia Klemp - SOS Glow Up Your Power!

Pia Klemp, Glow Up Your Power! 2024, Foto: Chris Grodotzki
Pia Klemp, Glow Up Your Power! 2024, Foto: Chris Grodotzki

Pia Klemp (*1983) ist gesellschaftskritische Schriftstellerin, Kapitänin und vernarrte Landstreicherin. Seit Jahren steht ihr Leben im Dienste des Aktivismus, zu See und an Land. An Bord von Meeresschutz-Organisationen und als Kapitänin in der zivilen Seenotrettung kämpft sie für Tier- und Menschenrechte. Sie war Teil des feministischen Kollektivs, das (mit finanzieller Unterstützung von Streetart-Künstler Banksy) das Schiff Louise Michel zur Rettung schiffbrüchiger Flüchtender im Mittelmeer klarmachte. Klemp ist Preisträgerin des Clara-Zetkin-Frauenpreises (2019) und gemeinsam mit der Crew ihres Rettungsschiffs Iuventa Preisträgerin des Paul Grüninger Preises ( 2019 ) sowie des Amnesty International Deutschland Menschenrechtspreises (2020). Bis zum Freispruch im April 2024 unterstützte sie die Crew der Iuventa bei ihrem politisch motiviertem Schauprozess in Italien.
Ihre Überzeugungen, Eindrücke und Fragen brachte sie in gesellschaftskritischen Romanen auch auf das literarische Parkett: »Allmende und Schrebergarten« (Edition Contra-Bass 2018), »Lass uns mit den Toten tanzen« (Maro 2019 ), »Entlarvung« (Ventil 2021) und »Die Schrecklichen« (Maro 2023). Außerdem erschien ihr Essay »Wutschrift« (Penguin 2022).

Am 11.09. 2024 wird Pia Klemp bei "Glow Up Your Power!" in der Kölner Philharmonie dabei sein und zusammen mit Hans Mörtter über Wut - Mut - Glück reden und die Frauen-Power gegen Kinderarmut vom Kindernöte e.V. unterstützen.

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Pia Klemp / Team Mörtter

Kapitänin Pia Klemp und eine Anklage wegen angeblicher Schlepperei waren der Anlass für die erste SOS-Benefizveranstaltung in der Kölner Philharmonie im Jahr 2019. Sie und ihre Crew hatten im Mittelmeer Menschen aus seeuntüchtigen Flüchtlingsbooten gerettet und wurden von der italienischen Justiz dafür kriminalisiert, in jahrelange Gerichtsprozesse verwickelt und dadurch in ihrer Existenz gefährdet. Dabei ist das Seerecht eindeutig: Es besteht eine Pflicht zur Lebensrettung. Im Jahr 2024 erscheint Klemp erneut in der Philharmonie, wird über den Verlauf der Prozesse berichten, und auch das Projekt unterstützen, das dieses Mal begünstigt wird, den Kindernöte e. V. - Hans Mörtter und der kulturelle Förderverein der Kölner Lutherkirche Südstadt Leben organisieren mit einem Helfer*innenteam diese Veranstaltungen.  

Pia Klemp hat sich durch die Beschlagnahmung der Rettungsschiffe, die Lockdowns und andere Widrigkeiten nicht in die Untätigkeit verbannen lassen und in der Zwischenzeit mehrere Bücher veröffentlicht. Sie hat sich die Kinderrechte zwar nicht explizit auf die Fahnen geschrieben, setzt sich aber energisch für Frauenrechte und damit auch für Mütter ein. Die Gleichberechtigung von Frauen ist noch in keinem Land der Erde umgesetzt, in Worten null, weil sich die Vertreter der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur ihre Dominanz nicht nehmen lassen wollen. Klar, dass dabei vulnerable Gruppen, wie Kinder, Betagte und Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen, oft zu kurz kommen.

Ihr Essay „Wutschrift – Wände einreißen, anstatt sie hochzugehen“  ist eine Ode an die Wut; allerdings – und das ist das Bedeutsame – jene Wut, die wir als die unsere annehmen. Wut, die negiert und nach außen verlagert wird, kann zu Aggression und Gewalt führen, die destruktiv sind und weltweit in besorgniserregender Weise immer weiter zunehmen. Wut, die wir als emotionalen Zustand anerkennen, kann dagegen zur Triebfeder für konstruktives Handeln werden. Klemp zieht eine umfassende Bilanz über den Zustand unserer Gesellschaft und unseres Planeten mit Gedanken und Erkenntnissen vieler anderer internationaler Autor*innen und Organisationen zu den Missständen. Daraus ergibt sich ein Füllhorn an Gründen, wütend zu sein, je nach Veranlagung vielleicht auch frustriert, desillusioniert, entsetzt oder verzweifelt. Es ist wichtig, sich dadurch nicht lähmen zu lassen, damit die Erstarrung und die Zermürbung nicht die Oberhand gewinnen. Klemp trifft dabei immer wieder auf misogynistische Einstellungen, stellt sich dieser Frauenverachtung aber mit Energie und Humor entgegen und lässt nicht zu, dass ihre Wut als „als weibische Wallung abgetan (S. 51) wird. 
 

Wir haben hier mit Genehmigung von Pia Klemp eine kleine Auswahl an Zitaten aus ihrer „Wutschrift“ zusammengestellt, die einen lebendigen Eindruck vermittelt. 

Egal ob tödliches Grenzregime, gesellschaftsfähige Misogynie oder profitgierige Umweltzerstörung - ich rege mich auf... Ich erspare mir und anderen das verräterische Kunststück, mich damit abzufinden... Die Wut macht sie zu meinen und wandelt sie in eine innige Verweigerung des Bestehenden... Der entbrannte Zorn wiederum beinhaltet eine Vision von der Zukunft und lässt sich konstruktiv und für strukturelle Veränderungen nutzen. Man darf den Sinnspruch der Aufklärung hier also noch etwas weiterführen: Habe die Wut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Das ist nicht nur dem psychischen Wohlbefinden ausgesprochen zuträglich, sondern auch die einzige Chance, dem ganzen Murks etwas entgegenzusetzen.“ (S. 39f). 

Wut bewegt uns zum Handeln und dient damit dem Selbstschutz und der Selbstverteidigung. Sie signalisiert, dass wir uns ernst nehmen und etwas wert sind (S. 42).  

Es ist nicht verwunderlich, dass Wut oft die Gemütslage derer darstellt, die sozialer Ungerechtigkeit und Bevormundung ausgesetzt sind und regelmäßig diskriminiert werden (S. 53f). 

Die Klimakatastrophe, Rassismus, Sexismus und all die anderen -ismen werden nicht weggelächelt werden, man kann sie nicht aussitzen... Kraftlose Hinnahme ist stumme Zustimmung zu Vorurteilen, Benachteiligung und Diskriminierung. (S. 62). 

„Wenn man sich die Wut zugesteht, dann entzieht man sich Angst und Scham und wagt einen Schritt aus der Passivität zu Verantwortung und Empowerment (S. 102). 

Grundlegende Veränderungen kamen immer nur zustande, weil eine Handvoll engagierter Menschen ihre Wut sinnvoll nutzten, um sich für oder gegen etwas einzusetzen. Das Anliegen einer befreiten Gesellschaft für alle musste in der Geschichte immer erst von einigen Wenigen angefacht werden (S. 103). 

Die Zauberformel lautet, kollektiv auf Veränderungen zu reagieren und so eine Gesellschaft zu schaffen, die allen gerecht wird. (S. 165f). 

(Schlusswort) „Wir sind noch lange nicht fertig, liebe Leute. Wer nicht wütend ist, hat nur (noch) nicht richtig aufgepasst. (S. 170), schließt Klemp ihren Essay, der an einigen Stellen durchaus augenzwinkernd gemeint ist. 

Unter „Anmerkungen“ befinden sich wertvolle Quellenangaben, S. 171 bis S. 190.

Klemp spricht einige unbehagliche Wahrheiten an. Sie sind unbehaglich, denn wenn man die Miseren anerkennt und den dringenden Handlungsbedarf sieht, ist es schwierig, sich in die alte Bequemlichkeit zurückzuziehen. Es setzt aber Energien frei, wenn man sich für andere Menschen oder den Planeten zur Verfügung stellt, was auf vielfältige Art möglich ist. Das kann vom achtsamen Konsum bis hin zur Seenotrettung gereichen. SOS – Glow Up Your Power! will diesbezüglich die Lust dazu wecken.  

Neben Pia Klemp ist Ingrid Hack vom Kindernöte e. V. eingeladen, einem Projekt, das der Kapitänin gefallen müsste. Der Verein ist von innen heraus organisch gewachsen und wurde nicht an einem fernen Schreibtisch konzipiert und den Menschen übergestülpt. Die Maßnahmen helfen bedarfsgerecht Kindern aus prekären Verhältnissen, um sie dabei zu fördern, Selbstermächtigung zu entwickeln.