Von wegen Beine hoch, auf das Erreichte zurückblicken und nichts tun: Im Interview berichtet der ehemalige evangelische Pfarrer Hans Mörtter, warum er als Ruheständler einfach nicht stillsitzen kann. Mit dem neu gegründeten Verein "Hans sucht das Glück" holt er Kinder aus der Armut, bekämpft die wachsende Obdachlosigkeit und unterstützt Geflüchtete schneller und effektiver. Dafür sucht er Mitstreiter*innen. Ein Gespräch über Herzensangelegenheiten und notwendige gesellschaftliche Veränderungen.
Tamara Soliz: Hans Mörtter, Sie haben 34 Jahre in Köln gearbeitet und vieles hier und überregional bewegt. Andere gehen nach so einem intensiven Arbeitsleben in Rente – Sie aber gründen einen Verein. Warum?
Hans Mörtter: Ich kann nicht nur zugucken - so bin ich nicht gestrickt. Ich will mich weiter für Menschen und für eine bessere Gesellschaft einsetzen, die Finger in die Wunden legen – und das gemeinsam mit Anderen. In Netzwerken und Bündnissen können wir so Vieles zum Guten verändern. Die Puzzleteile ergeben zusammen das Bild. Ich bin nur ein Puzzleteil - aber ein sehr bewegliches.
Tamara Soliz: Einer der Schwerpunkte des neuen Vereins ist die Obdachlosenhilfe. Warum?
Hans Mörtter: Obdachlose Menschen und Wohnungslose sind die, die gesellschaftlich ganz unten stehen. Ich habe seit meinem Studium Kontakt zu ihnen gehabt - das Thema lässt mich nicht los. Es sind tolle Menschen darunter, mit erschütternden Geschichten. Da entspricht nichts dem Klischee.
Wir wollen als Verein dazu beitragen, Obdachlosigkeit in Deutschland zu beenden. Das geht, davon bin ich überzeugt. Wir sind ein so reiches Land. Und mit unserer Erfahrung wissen wir, was möglich ist – wir haben bereits Erfolge erzielt. Zum Beispiel mit dem Vringstreff in der Südstadt, das als feines Restaurant für Obdachlose und Arme gegründet wurde und heute ein Anlaufort ist für den Weg zurück ins normale Leben. Mit dem Vringstreff haben wir auch das „Housing First“-Konzept erfolgreich in den Stadtrat eingebracht – jetzt haben Obdachlose in Köln das Recht auf eine eigene Wohnung mit Mietvertrag. Nur so kommen sie raus aus dem Betreuungssystem und der Ohnmacht, sie gelangen in Eigenverantwortung. Stadtweit sind bereits 23 Leute von der Straße in die eigene Wohnungen gezogen. Mit dem Verein werden wir den Kampf gegen Obdachlosigkeit weiterführen.
Tamara Soliz: Wie?
Hans Mörtter: Hand in Hand mit der Stadt und inspiriert durch die Besten. Ich war kürzlich in Helsinki und habe dort verschiedene „Housing First“-Projekte besucht. Eines, das mich besonders begeistert hat, sind Gemeinschaftshäuser. In diesen Wohnkomplexen wohnen 35 Menschen in kleinen Einzelwohnungen von etwa 45 m² und es gibt große Gemeinschaftsräume, in denen man sich treffen kann. Die Bewohner*innen kochen regelmäßig miteinander, frühstücken zweimal in der Woche zusammen. Es kommen nur die, die wollen - wer sich zurückziehen möchte, bekocht sich selbst. Jedem ist seine Privatsphäre sicher, aber Gemeinschaft und Nähe sind immer da, wenn man sie braucht. Das ist ein Ort, an dem würdevolles Zusammenleben entsteht. So etwas brauchen wir in Köln auch, und dafür wollen wir mit dem Verein Impulse setzen.
Tamara Soliz: Sie engagieren sich seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe. Wo sehen Sie hier den Handlungsbedarf für den Verein?
Hans Mörtter: Wir möchten intensive Gespräche führen, auch mit der Bundespolitik. Denn da wird eine ganze Menge falsch gesehen. Es muss aus unserer Sicht verboten werden, dass Menschen, die schon seit Jahren hier leben, die Deutsch können, eine Ausbildung gemacht und sich ein redliches Leben aufgebaut haben, plötzlich abgeschoben werden.
Auch müssen Geflüchtete so schnell wie möglich Unterstützung erhalten, z.B. in Sachen Traumabehandlung. Sie müssen die Erlaubnis erhalten, arbeiten zu dürfen, und zwar so schnell wie möglich. Das ist es nämlich, was die allermeisten von ihnen wollen. Damit sie schnell in Ausbildung gelangen, ist es notwendig, dass die aktuellen Hürden herabgesetzt werden – zum Beispiel die Sprachanforderungen. Wir brauchen keine Sprachexperten, sondern Leute, die sich am Arbeitsplatz mit den Kollegen und Kolleginnen verständigen können. Alles andere lernen sie von sich aus dazu.
Als Verein möchten wir also die bestmögliche, schnelle Förderung von Geflüchteten vorantreiben. Und das nicht nur hier in Deutschland, sondern auch an den EU-Außengrenzen. Ich arbeite seit vielen Jahren mit NGO’s auf Samos zusammen.Das EU-Vorzeige-Flüchtlingslager ist eine Katastrophe. An solchen Orten ist es zum einen notwendig, dass Geflüchtete deutlich mehr rechtliche Hilfe und Unterstützung bekommen, um ein faires Anerkennungsverfahren zu erhalten. Das funktioniert noch nicht gut. Zum anderen geht es auch um die Qualifikationen, die die Menschen mitbringen. Sie fallen häufig unter den Tisch. Unsere Idee ist es, in Flüchtlingslagern Ausbildungskurse zu fördern, vor allem auch im Handwerksbereich, bei denen die Menschen ihre Qualifikationen unter Beweis stellen können. Dann verlieren sie keine Zeit – und wir in Europa finden die Fachkräfte, die wir dringendst suchen.
Es gibt noch weitere Themen, die wir angehen wollen. Wussten Sie zum Beispiel, dass viele Geflüchtete mit kaputten Handys in Europa ankommen, weil ihre Geräte bei der Flucht durch Salzwasser und -luft zerstört wurden? Das ist für die Menschen ein enormer Verlust, auch an Sicherheit. In Samos gibt es eine Werkstatt von und mit Geflüchteten, die Handys wieder herstellt. So etwas werden wir unterstützen und dafür den Kontakt zu Handyanbietern suchen.
Tamara Soliz: Gibt es andere Bereiche, in denen sich der Verein engagieren wird?
Hans Mörtter: Auch das Thema Kinderarmut bewegt uns. Wir möchten die direkte Hilfe von vor allem alleinerziehenden Frauen hochfahren, damit sie klarkommen und die Kinder erleben, dass Zukunft möglich ist und dass sie nicht die Abgehängten sind, die Versager. Das ist nämlich das, was viele von ihnen fühlen. Für diese Direkthilfe werden wir Spenden einsammeln. Es geht um Achtung und Würde.
Gleichzeitig arbeiten wir am Thema Kindergrundsicherung. Aus unserer Sicht muss eine Umverteilung her, zumindest müssen die Steuersätze verändert werden. Die Reichen müssen mehr Verantwortung übernehmen. Wir werden hier also das Fachgespräch mit der Politik suchen und dafür sorgen, dass die Stimmen von Alleinerziehenden dort besser gehört werden. Liebe Politik: Es besteht dringender Handlungsbedarf, sonst treibt ihr die Leute weiter in die Arme der AfD.
Tamara Soliz: Welche Art der Unterstützung wünschen Sie sich?
Hans Mörtter: Ich stehe hier mit meinem Namen im Vereinsnamen, weil ich weiß, dass viele Menschen mir vertrauen: Der Hans ist glaubwürdig, der redet nicht nur. Der sorgt dafür, dass auch wirklich etwas passiert. Das ist effektiv und bringt die Gesellschaft weiter, stößt andere an, ermutigt sie. Es ist ein mittlerweile über Jahrzehnte gewachsenes Netzwerk, auf das ich aufbaue. Ich suche aber noch weitere Menschen, die diese Arbeit auch stärker finanziell unterstützen. Das sind nicht einfach Geldgeber, sondern das sollen Freunde sein oder Freundinnen. Also Menschen, mit denen ich in Kontakt bin und die das aus ihrem Herzen heraus machen oder aus ihrem guten Vertrauensgefühl heraus und damit mit mir in einer Beziehung sind. Kein normale „Wohltätigkeit“, sondern wirklich eine Herzens- und Vertrauenangelegenheit. Und eine Geschichte von Effektivität und Qualität. Also wenn es da draußen jemanden gibt, der oder die sich das vorstellen kann – Millionär, Milliardärin oder auch sonst jemand mit Geld – dann freue ich mich über ein Kennenlernen.
Tamara Soliz: Vielen Dank für das Gespräch.